„Aufbruch“

Eine Theaterbesprechung von Anna Burkhardt

Am 12. Juni 2019 wurde im evangelischen Petrus-Gemeindehaus das Theaterstück „Aufbruch“ erstaufgeführt. Es thematisiert Wünsche und Träume von Menschen unterschiedlichen Alters, die in ihrer aktuellen Lebenssituation keinen Erfolg haben. Sie entscheiden sich nach Berlin, das neue „New York“ und somit die Stadt der Träume zu reisen, um diese dort zu erfüllen.

Heinrich (Thomas Sturmfels), einem Taschendieb, dessen Spezialgebiet „Geld und Warentransfer“ ist, gehen allmählich die Opfer in seiner Kleinstadt aus. Der ältere Mann hofft auf Erfolg in der Metropole, da er dort noch nicht bekannt und die Kundschaft zahlreich ist.

Klara (Julia Ratke), die als Ärztin arbeitet, entscheidet sich nach Berlin zu ziehen, um dort in einer Klinik zu arbeiten. Der Auslöser hierfür ist der plötzliche Tod ihres frisch Verlobten in einem Unfall.

Hannah (Christine Bochenek), die in einem Bestattungsunternehmen mit dem Motto „Gestorben wird immer“ arbeitet, will auch in die Großstadt, da sie sich dort, wegen der höheren Sterberate, mehr Kundschaft erhofft.

Clemens (Tim Bischoff) ein vierundzwanzig Jahre alter Büroangestellter, mit der Einstellung „Ich mache Business, nein, ich bin Business“ kündigt spontan seinen Job und plant ein Startup-Unternehmen in Berlin zu gründen.

Merle (Annika Mathes), die 25-Jährige, etwas hilflose und überfürsorgliche Freundin von Clemens, der mittlerweile seit einem Jahr in Berlin lebt, ist arbeitslos und weiß noch nicht genau, was sie in Zukunft beruflich machen möchte. Um ihren Freund zu überraschen, reist sie ihm nach und ahnt noch nicht, was er unter dem Vorwand „distance zu bekommen“ treibt.

Sophie (Rebecca Zinn) ist, wie sie zu sagen pflegt, eine „Journalistin aus Leidenschaft“. In ihrem Beruf fehlt ihr jedoch jegliche Erfüllung, da ihre Artikel über den Taubenzuchtverein nicht von Erfolg gekrönt sind. Nachdem sie im Internet eine Meldung zur erhöhten Sterberate in einem bestimmten Berliner Krankenhaus entdeckt, entscheidet sie sich ebenfalls in die Hauptstadt zu reisen, in der Hoffnung dort Enthüllungsjournalismus betreiben zu können.

Fionas (Netta Hietala) Leben dreht sich um das eine Thema: „Botanik“. Das Augenmerk liegt auf ihrer Pflanze „Taschita“, die sie gelegentlich konsumiert. Die Pflege ihres Gewächses verärgert jedoch Nachbarschaft und Familie, weil sie ihrer Pflanze nachts auf der Flöte vorspielt. Aus diesem Grund wird sie von Ihrem Vater halb freiwillig zu Ihrer Tante Lydia nach Berlin geschickt.

Lydia (Sylvia Hofrock), Gärtnerin von Beruf, die unter dem Tourette-Syndrom leidet und dank eines angelegten, illegalen „Beets“ mit Pilzen gut verdient, ist dem Rotwein nicht abgeneigt. Sie „bildet“ ihre Nichte Fiona, in Berlin angekommen, im Fach der Botanik aus.

Nora (Roya Hadji), 21 Jahre alt, will Musicaldarstellerin werden und fährt zusammen mit ihrer Freundin Cora (Elisa Do), die als Tänzerin Erfolg sucht, nach Berlin. Zusammen versuchen sie ein Tanzvideo für Cora zu drehen, mit dem sie sich als Tänzerin bewerben will.

Schon zu Beginn der Vorstellung wird deutlich, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Theaterstück handelt. Die Schauspieler bleiben nicht nur auf der Bühne, sondern bewegen sich unter anderem im gesamten Saal. Damit wird die sogenannte „vierte Wand“ durchbrochen und der Zuschauer in das Geschehen miteinbezogen.

Außerdem ist die schauspielerische Leistung bemerkenswert, da sowohl Gesang als auch Tanz eingebunden werden. Einzelne Schauspieler treten sogar in unterschiedlichen Rollen auf, ohne beim Zuschauer Verwirrung entstehen zu lassen. Zudem bewegt sich das Schauspiel auf sehr hohem Niveau, da jede einzelne Rolle perfekt auf den Schauspieler abgestimmt zu sein scheint. Das zeigt sich ganz besonders in einer Passage, in der zwei Schauspieler zusammen vortragen, wobei nicht nur Wörter, sondern auch ganze Wortgruppen, abwechselnd von jedem der beiden in flüssigem Tempo gesprochen werden. Es entsteht tatsächlich der Eindruck, als spreche nur eine Person.

Das Theaterstück erweckt zudem den Anschein, sehr gut strukturiert zu sein. Der Zuschauer taucht mitten in das Leben zehn unterschiedlicher Personen ein. Bis zum ersten Vorhang werden die Figuren vorgestellt.  Man erfährt mit Hilfe von Dialogen und Monologen sowohl den Grund für Ihre Reise nach Berlin als auch Aspekte über ihr bisheriges Leben.

Ergänzend sei gesagt, dass das gesamte Stück äußerst humorvoll ist, was dazu führt, dass der Zuschauer gefesselt und sehr gut unterhalten wird. In diesem Kontext sorgen unter anderem die Bemerkungen Hannahs, der Angestellten des Bestattungsunternehmens, für Lacher im Publikum. Sie schlägt einem 90-Jährigen schon mal einen Termin zum „Probeliegen“ vor und empfiehlt einer anderen Seniorin einen Snowboardkurs, in der Hoffnung Kundschaft zu generieren. Auch Clemens, der ein Faible dafür hat in seine Sprache häufig Anglizismen einzubauen, um „professioneller“ zu wirken, sorgt für Stimmung. Begeisterung weckt auch Tante Lydia, die im Berliner Dialekt spricht und sogar eine sehenswerte Tanzeinlage im Botanischen Garten einlegt.

Neben der kurzweiligen Unterhaltung, für die das Theaterstück „Aufbruch“ sorgt, werden jedoch auch tiefgründige Probleme, wie die Selbstfindung und der harte und schwere Einstieg in die Berufs- und Erwachsenenwelt, dargestellt.

Insgesamt bin ich davon überzeugt, dass das Theaterstück sehr gelungen und der Handlungsstrang logisch und durchdacht ist. Ich kann jedem einen Besuch des Stücks nur ans Herz legen, da abwechslungsreiches und amüsantes Schauspiel auf sehr hohem Niveau zu erleben ist. Was kann man sich als Zuschauer noch mehr wünschen? Text: Anna Burkhardt

Zur „Aufbruch“ – Galerie mit Fotos von Moritz Kegler

„40 Jahre Begeisterung für die Bühne“, Langener Zeitung/op-online, 12.6.2019