Langen, dem Großherzogtum Hessen zugehörig, ist 1850 eine Gemeinde mit ca. 3000 Einwohnern. Es sind schwierige Zeiten! Der ehemalige Bürgermeister Dröll wird im Revolutionsjahr 1848 wegen seiner republikanischen Gesinnung des Amtes enthoben und flieht nach Amerika. Aber auch viele Langener Familien wandern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus. Hoher Bevölkerungsdruck, Missernten und Wirtschaftskrisen durch die zunehmende Industrialisierung sind neben politischen Motiven die wichtigsten Gründe für die Auswanderungswellen. Die Lebensmittelpreise sind horrend, so kostet ein Brot ungefähr so viel, wie ein Handwerksgeselle am Tag verdient. Kartoffeln sind Hauptnahrungsmittel, Gemüse kann durch den eigenen Anbau gedeckt werden, Fleisch und Käse sind dagegen für die meisten Luxusgüter. Die Sterberate ist hoch.
Auf der anderen Seite befindet sich die Gemeinde, die bereits seit einigen Jahren Marktrechte hat – Stadtrechte erhält sie aber erst 1883 – in einer wirtschaftlichen Umbruchphase. Während noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Landwirtschaft der maßgebliche Wirtschaftsfaktor ist, tritt neben dem Handwerk immer mehr auch die industrielle Produktion in den Vordergrund. So entstehen Ziegeleien, Fabriken zur Erzeugung alkoholischer Getränke, Textilfabriken, Druckereien, Ölmühlen und Sägewerke. 1846 wird die Eisenbahnlinie von Frankfurt nach Mannheim fertiggestellt. Langen bekommt als einzige Gemeinde zwischen Frankfurt und Darmstadt einen Bahnhof, der sich jedoch 30 min (Fußweg) vom eigentlichen Ortskern in westlicher Richtung befindet. Die Stadt dehnt sich damit bevorzugt in dieser Richtung aus.
Wie steht es mit dem Schulwesen? Langen hat mehrere Volksschulen, die aber überfüllt sind und deren Schülerinnen und Schüler oft schlechte Leistungen zeigen. Die Mädchen erhalten überhaupt keinen Rechenunterricht und die Jungen beherrschen kaum die Grundrechenarten, Sachunterricht wird nicht erteilt. Ein Gymnasium gibt es nicht, da muss man nach Frankfurt oder Darmstadt gehen. So ist es nicht verwunderlich, dass bessergestellte Eltern nach Alternativen für ihre Kinder suchen. Neben dem häuslichen Unterricht bei einem Privatlehrer kommt der Besuch in einer Privatschule in Frage. Die Vorgängerin unserer Dreieichschule ist solch eine im Jahr 1845 von Pfarrer Knodt in Egelsbach und dem Pfarrassistenten Walther in Langen gegründete Privatschule:
1850 übernehmen dann mehrere finanzkräftige Langener die Verwaltung der Schule und gründen eine Privatschulgesellschaft. Diese Schule wird dann in wechselhafter Folge bis zur Dreieichschule führen.
Der Besuch der Schule kostet Schulgeld. Es ist nicht verwunderlich, dass in der Anfangszeit die Schulgesellschaft durch stark schwankende Schülerzahlen auch nicht gut kalkulierbare Einnahmen hat. Das Lehrerpersonal (2 bis 3 Lehrer) wechselt zudem häufig.
In dieser Schule werden Kinder zwischen 6 und 14 Jahren in drei Klassen unterrichtet. In der ersten Klasse vereinigen sich Kinder des 1. bis 3. Schuljahres, in der zweiten Klasse kommen Kinder des 4. und 5. Schuljahres zusammen, die letzte Klasse hat Lernende aus dem 6. bis 8. Schuljahr. Die Privatschule hat noch kein Gebäude, die Unterricht findet in wechselnden Häusern statt, u. a. auch in der Alten Ölmühle (Fahrgasse 5, s. Foto), die es noch heute gibt. Genaue Schülerzahlen sind für die Anfänge der Privatschule nicht bekannt, 1865 haben 29 Kinder die Schule besucht.